Autor: Dr. Johann Schlederer
Ruhe vor dem Sturm
Eine gefühlte Verschnaufpause verzeichnete die EU-Verwaltung in den letzten Monaten. Zum einen war die Entscheidungs- und Umsetzungsfreudigkeit schon Monate vor der EU-Wahl schaumgebremst, zum anderen ging diese Phase nahtlos in die Sommerpause über. Aktuell werden die Karten in den Führungsebenen der Kommissionen neu gemischt. Je nachdem, wie die Neubesetzungen gestaltet werden, wird auch die Härte bzw. Ausprägung der Vielzahl an bevorstehenden Aufgaben, die in den EU-Schubladen liegen, ausfallen.
Hier die relevanten Themen für die Landwirtschaft:
- Tiertransportrichtlinie, diese ist zurzeit in Begutachtung. Man erwartet, dass Ende des Jahres feststehen wird, inwieweit die davon am stärksten betroffenen Länder die Gepflogenheiten bei Ferkel- und Schweinetransport ändern müssen. Kritischster Punkt für Österreich dürfte das Mindestgewicht von 10 kg für Baby-Ferkeltransporte werden.
- Tierschutzgesetz: Ein dbzgl. von der EFSA entwickelter Vorschlag liegt seit einem Jahr in der Schublade. Die „alte Kommission“ wollte diese Sammlung an massiven Einschränkungen – speziell im Schweinehaltungsbereich – nicht mehr vor der EU-Wahl zur Begutachtung freigeben. Diese Rechtsmaterie wird aller Voraussicht nach der bisher stärkste EU-weite Eingriff in die Zukunft der europäischen Schweinehaltung sein.
- EU-Entwaldungsverordnung soll ab 2025 umgesetzt werden? Trotz vieler Forderungen – u.a. von LW-Minister Norbert Totschnig – nach Verschiebung um mindestens einem Jahr, denn die Verwaltung dieser Maßnahme ist bis dato in vielen Bereichen unklar. Ein verwaltungsvereinfachendes EDV-Projekt ist aktuell in einer finalen Testphase.
- Das „Nachhaltige Lieferkettengesetz“, ist eine sinnvolle und wichtige Maßnahme, gerade aus Sicht der heimischen Landwirtschaft. Mitbewerbern, die auf soziale, tier- und menschenrechtliche Belange keine Rücksicht nehmen, soll dadurch das oft einträgliche Geschäft erschwert werden. Leider macht auch hierbei die überbordende Bürokratie das Leben in der Umsetzung schwer.
- Industrie-Emissionsrichtlinie: Diese wurde bedauerlicherweise zuletzt nicht in unserem Sinne vom Parlament beschlossen. Somit haben die einzelnen Mitgliedsstaaten in den nächsten Jahren die Verpflichtung, die Vorgaben auf nationaler Ebene umzusetzen. Schätzungen zufolge werden in Österreich mehrere Hundert Schweinebetriebe betroffen sein.
- Renaturierungsverordnung: Bei diesem zuletzt politisch heiß diskutieren Thema ist überhaupt noch völlig offen, was genau gemeint ist, welche in den letzten Jahrzehnten errichteten landschaftsbaulichen Maßnahmen wieder rückgebaut werden sollen und inwieweit die Landwirtschaft davon betroffen sein wird.
Strategischer Dialog über die Zukunft der EU-Landwirtschaft
In der COPA-COGECA arbeitet man trotz Sommerpause intensiv an einem gemeinsamen Vorschlag für die nächste GAP-Periode, d.h. wie die gemeinsame Agrarpolitik inhaltlich neu gestaltet werden soll.
Demnächst soll der schon seit Frühjahr laufende Prozess abgeschlossen und der wiedergewählten Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen vorgelegt werden. Neben den COPA-internen Fachgremien, wie z. B. der Arbeitsgruppe Schwein, wurde auch mit den europäischen Dachverbänden, die in diversen Branchen der Wertschöpfungskette beteiligt sind, zusammengearbeitet.
Man kann sich vorstellen, wie herausfordernd und langwierig es ist, aus der Vielfalt der Interessen aus 27 Mitgliedsstaaten einen gemeinsamen Nenner zu finden. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass sich die agrarpolitisch einflussreichste Institution auf Brüsseler Ebene dieser Herausforderung stellt und versucht, die Weichen für die nächste GAP-Periode bestmöglich im Interesse der produzierenden Landwirtschaft zu stellen.
Ukraine: Von der Kornkammer Europas zur Sojakammer Europas
Ein Megathema für die EU-Agrarpolitik ist die mögliche EU-Erweiterung Richtung Ukraine. Nach aktueller weltpolitischer Lage sehe ich den EU-politischen Zug unbremsbar in diese Richtung fahrend. Sollte es so weit kommen, so erweitert sich der Binnenmarkt um gut 41 Mio. Hektar Agrarland, wovon 32 Mio. Hektar ackerfähig sind. In der Konsequenz würde die EU um ca. 30 % Ackerland dazugewinnen. Jede Menge berechtigter Sorgen bewegen nun die EU-27-Landwirte. Zum einen würde es wahrscheinlich zu einer erheblichen Verdünnung der Fördergelder kommen und zum anderen ist eine Überschwemmung bei beispielsweise Mais- und Weizenmärkten unumgänglich.
Sojabohne als Problemlöser
Die Erfahrungen aus unserem mittel-, süd/-südosteuropäischen Projekt Donausoja zeigen uns, dass in der Ukraine riesige und beste Voraussetzungen für den Sojaanbau vorliegen. Demnach könnte oder sollte Teil der Lösung sein, aus der aus Monarchiezeiten bekannten Definition als „Kornkammer Europas“ die Ukraine zu einer „Sojakammer Europas“ umzubauen.
Gerade die jetzt beginnenden Beitrittsverhandlungen würden die Chance bieten, so eine weitblickende Veränderung vertraglich festzulegen. Wäre so ein politisches Übereinkommen möglich, so könnte man auf die Importe aus Nord- und Südamerika gänzlich verzichten. Eine Milchmädchenrechnung verdeutlicht diese Einschätzung: Würde man ca. ein Drittel der ukrainischen Ackerfläche mit Sojabohne bebauen, also 10 Mio. Hektar und einen Ertrag von ca. drei Tonnen je Hektar kalkulieren, ergäbe das eine Erntemenge von ca. 30 Mo. Tonnen. Wenn es stimmt, dass die EU zurzeit ca. 13 Mio. Tonnen Sojabohnen und ungefähr 15 Mio. Tonnen Sojaschrot importiert, so wäre die so stark kritisierte Übersee-Versorgungsschiene obsolet.
Ich persönlich versuche bei jeder Gelegenheit höchste agrarpolitische Vertreter mit dieser, aus meiner Sicht sehr problemlösungsorientierten Strategie, zu konfrontieren.